SATIRICON - DAS SATIRISCH-KOMISCHE WERK
„Mein verbalktes Auge“ nannte Tomi Ungerer ein wenig bekanntes Selbstporträt: Er, dem kein noch so kleiner Splitter in unseren Augen entging, zeichnete sich einen Balken ins rechte Auge. Die selbstironische Bekundung, dass er auch diesen sehr wohl sehe, kennzeichnete seinen Humor möglicherweise am treffendsten.
Möglicherweise. Denn knapp 170 ausgestellte Werke, darunter mehr als fünfzig unveröffentlichte, waren ein sehr bescheidener Auszug aus vermutlich 40.000 Arbeiten, die der Künstler in fast siebzig Schaffensjahren bis 2011 vorlegte. Gleichwohl unternahm SATIRICON den Versuch, Tomi Ungerers Satiren und Scherze auf der Skala der komischen Gradation zu verorten sowie ihre Streuung und Reichweite in Welt und Gesellschaft zu dokumentieren.
Bei seinen Scherzen dominiert ein milder Blick auf uns Sterbliche; nach Art eines gütigen Königs, der sich den Humor des lustigen Kindes bewahrt hat. Seine witzreichen Collagen erregen bevorzugt das freudige Wundern, eine selten gewordene Art der Heiterkeit. Seine Geschichten vom Menschensex in Froschgestalt karikieren frech, was wir aus gutem Grund vor andern verbergen, und seine Einfälle für Werbekampagnen verlangten den Auftraggebern einigen Humor ab. Die wahrhaft bösen Späße freilich trieb Ungerer über manche Grenze, die Betrachtenden aber, wenn auch über ihr eigenes Lachen erschrocken, bleiben ihm stets gewogen.
Bei den Satiren sind Zorn und Schock zu spüren, seine regelmäßigen Reaktionen auf politische und gesellschaftliche Phänomene der schlimmen Art. Dabei reduzierte er das einer Satire eignende Quantum Komik mitunter auf null, wie in seinen apokalyptischen Gesellschaftssatiren "Babylon" oder "The Party". Dem Militarismus gewann er hingegen durchaus komische Seiten ab, bestimmte Fälle ausgenommen: „Manche Kriege sind notwendige Übel, aber der in Vietnam, das war eine Idiotie.“ (Ungerer 2001). Nicht zuletzt seine Plakate gegen diesen Krieg haben Tomi Ungerer in der Welt berühmt und in den Herzen von Generationen unsterblich gemacht.
Tomi Ungerer wurde am 28. November 1931 in Straßburg geboren. Der Vater stirbt früh (1935), die Annexion seiner Heimat Elsass durch Nazi-Deutschland und die Reaktion der Französischen Republik nach Kriegsende werden für Ungerer zur prägenden Erfahrung. Er fällt durchs Abitur, tritt in die Armee ein und übersiedelt 1956 nach New York, wo er sich als Künstler entfaltet.
Bis 1962 erscheinen Kinderbücher und komisch-satirische Bände wie "Horrible" und "The Underground Sketchbook". Bis 1971, als er die USA verlässt, zeichnet er Gesellschaftssatiren ("The Party"), protestiert mit Postern gegen Rassismus und den Vietnamkrieg. In "Fornicon" thematisiert er die Verdinglichung der Sexualität. Bevor er 1976 nach Irland geht, folgen weitere Kinderbücher, und er beginnt, seiner Heimatstadt Straßburg Teile seines Werks zu vermachen.
Von 1981 an erfährt Tomi Ungerer, der unvermindert kreativ bleibt ("Babylon", "Kamasutra der Frösche", "Schwarzbuch", der Collagenband "Schnipp Schnapp"), zahlreiche Ehrungen. Aus der Reihe der Kunstpreise und staatlichen Ehrungen seien der Hans-Christian-Andersen-Preis (1998), die Ernennung zum Ritter der Ehrenlegion (Frankreich, 1990) und die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (Deutschland, 2008) genannt.
Tomi Ungerer verstarb am 9. Februar 2019 in Irland.
Das Musée Tomi Ungerer:
Im Jahr 2007 gab die von Ungerer beschenkte Stadt Straßburg rund 11.000 seiner Werke im Herzen der Stadt eine dauerhafte Heimstatt. Eine Vielzahl gesammelter Werke anderer großer Zeichner und Illustratoren machen das Museum zum Centre International de l‘Illustration. Seiner freundlichen Kooperation verdankte sich die Ausstellung SATIRICON.